Die Revolution der kreativen Macher
Sich selbst verwirklichen und dabei die Welt verbessern? Ein Besuch im „Maker Space Austria“,
wo Idealisten gemeinsam filzen, fräsen und an einer nachhaltigeren Wirtschaft basteln.
Von Johannes Lang
Auf einen unwissenden Passanten mag das weiße Haus in der Schönbrunner Straße 125 im fünften Wiener Gemeindebezirk einen etwas sonderbaren Eindruck machen: Hinter dem Schaufenster steht ein weißer Roboter in Mannequin-Positur, die türkis eingefärbten Arme zum Gruß ausgestreckt. Neben aufgemaltem Hammer, Zange und Schraubenzieher lässt nur die blaue Aufschrift „Maker Space Austria“ darauf schließen, was sich hinter den Glasfenstern verbirgt: eine offene Werkstätte für kreative Macher.
2014 wurde der Maker Space Austria in Wien eröffnet, und längst ist er kein Unikum mehr: Über 20 solche Gemeinschaftswerkstätten bieten mittlerweile – auf ganz Österreich verteilt – kreativen Tüftlern Zugang zu modernsten Produktionsverfahren. Maschinen wie Schneidplotter, Thermotransferpresse, Lasercutter oder CNC-Fräse sind für die Industrie der Zukunft von zentraler Bedeutung, als Privatperson bekommt man sie allerdings kaum zu Gesicht, geschweige denn in die Hände. Das will Arno Aumayr, 45 Jahre alt und Gründer und des Maker Space Austria, ändern.
Der gelernte Elektromechaniker und Maschinenbauer hatte ursprünglich zwei Jahrzehnte lang Karriere als Chef einer kleinen EDV-Firma gemacht. Irgendwann wurde dem gebürtigen Wiener die „80 Stunden-Woche“ in der Branche aber zu viel, und nach einem stressbedingten Burnout entschloss sich Aumayr erst einmal zu einer Auszeit. „In dieser Zeit habe ich angefangen, mehr zu bas-teln und spaßhalber Konzepte zu schreiben“, erzählt Aumayr. Und langsam reifte in dem Unternehmer eine scheinbar revolutionäre Idee: einen Platz zu bieten, wo jeder arbeiten kann.
Silicon Valley meets 68er
Er war freilich nicht der Ers-te: Bereits 2006 fand im kalifornischen San Mateo die erste „Maker-Faire“ statt – eine Mischung aus Erfindermesse und Jahrmarkt, bei der sich die US-amerikanische Maker-Bewegung versammelte. Mehr als 130.000 Hobby-Handwerker sind seither jährlich nach Kalifornien gepilgert, am 20. und 21. Mai kommt die Maker-Faire auch zum zweiten Mal nach Wien (vgl. makerfairevienna.com).
Entstanden ist die Bewegung wohl aus der ideellen Synthese der 68er-Studentenbewegung und der Technikmanie des Silicon Valley: Der rebellische Geist der Achtundsechziger sträubte sich gegen etablierte Autoritäten und sinnentleerten Konsum und suchte stattdessen in Werten wie Selbstorganisation und Eigeninitiative das Heil. Do it yourself – mach es selber – lautete die Antwort auf Fließbandproduktion und Massenware. Der Aufstieg des Nachhaltigkeitsbegriffes, der im 21. Jahrhundert in aller Munde ist, verhalf auch der Maker-Bewegung in den letzten Jahren zu einem kleinen Durchbruch. Auf der Online-Videoplattform YouTube findet man heute Anleitungen zum Selbermachen für alles vom Computer bis zum Brautkleid. Chris Anderson, ehemaliger Chefredakteur des renommierten Technologie-Magazins Wired, will im Do-it-yourself bereits die dritte Industrielle Revolution erkannt haben.
Die Revolutionäre, das sind Leute wie Andi, der mit seinem ergrautem Spitzbart und jungenhaften Lächeln zusammen mit seinen beiden Freunden gespannt auf einen Computerbildschirm schaut. Sie wollen Mandalas mit einem Lasercutter erzeugen. „Wir arbeiten aber auch mit Ton“, fügt Andi hinzu, der bis zu drei Mal in der Woche das Maker Space Austria besucht. Gabi benötigt für ihr Kunstprojekt wiederum den 3D-Drucker. „Hier gibt es genau die Geräte, die ich brauche“, erklärt die hauptberufliche Grafikerin.
Hört man Arno Aumayr zu, dann soll sein Maker Space aber mehr als nur ein mit moderner Maschinerie bestücktes Paradies der Technik-Freaks sein. „Der handwerkliche Aspekt wird in Österreich noch ein bisschen ignoriert“, sagt Aumayr mit Blick auf die mit bunten Strickdeckchen geschmückten Betonsäulen. Sie hat das Maker Space Ina und Brigitte zu verdanken, die jeden Freitag zum Häkeln und Stricken kommen. Ina balanciert ihr Strickzeug geschickt in einer Hand, während sie mit der anderen die Spielkarten auf dem Tisch vor den beiden Frauen verteilt. „Ich finde die Atmosphäre hier sehr nett“, meint die berufliche Softwaretesterin. Vielleicht auch, weil, wie Aumayr gleich zu Beginn klarstellt, hier im Maker Space Austria das allgemeine Du-Wort gilt. „Man bekommt mehr Leidenschaft fürs Selbermachen, wenn man sieht, was andere so machen“, fügt die Pensionistin Brigitte hinzu. „Ich bekomme hier sehr viel Inspiration.“
Kreativität und Idealismus
So sind die beiden Frauen vor einiger Zeit auch etwa auf die Idee gekommen, Hauben für Obdachlose zu stricken. Dieser Idealismus ist ein wichtiger Teil von Aumayrs Konzept. Seine ursprüngliche Idee, die Finanzierung des Maker Space wie in skandinavischen Ländern üblich nach einem Pay-as-you-wish-Prinzip zu organisieren, musste Aumayr zwar vorerst auf Eis legen. „Das funktioniert in Österreich leider noch nicht“, räumt der Unternehmer ein. Wer sich die mindestens zehn und maximal 80 Euro im Monat aber wirklich gar nicht leisten kann, dem wird auch schon mal der Mitgliedsbeitrag ganz erlassen.
Schließlich finden sich im Maker Space Austria Langzeitarbeitslose wie Startup-Unternehmer, HTL-Schülerinnen und -schüler sowie Pensionisten. „Die sozialen Schichten sind sehr durchmischt“, meint Aumayr. Ein besonderes Anliegen ist es ihm, auch Frauen und jungen Leuten die Liebe zum Handwerk zu vermitteln, nicht zuletzt, um so dem Fachkräftemangel in Österreich entgegenzuwirken. „Wir wollen Jugendliche dazu animieren, mehr zu basteln“, sagt Aumayr. Hat der Maker Space-Gründer als Neffe eines Tischlers und eines Spenglers als Kind noch wie selbstverständlich zu Säge und Hobel gegriffen, ist Werken und Basteln als Freizeitbeschäftigung bei den heutigen Jugendlichen eher out.
Im Hinterzimmer des Maker Space sieht es dann schon eher nach einer traditionellen Werkstatt aus. Auf den langen Holztischen sammeln sich Späne und Sägemehl, an den hohen Wänden blättert die graue Farbe ab. Hier ist Johann ganz in seinem Element. Der Rentner hilft seit zwei Jahren ehrenamtlich beim Maker Space Austria mit und steht den Teilnehmern jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. „Ich interessiere mich für alles, was mit Holz zu tun hat“, sagt Johann. „Derzeit mache ich einen Rahmen für einen halbdurchlässigen Spiegel.“
Gewerblich dürfen er und die anderen mittlerweile etwa 170 aktiven Mitglieder ihre Kunstwerke zwar nicht nützen, um der Industrie nicht den Markt zu ruinieren. Doch der eine oder andere Startup-Gründer hat schon seinen Proto-
typ hier in der Schönbrunner Straße 125 entwickelt. „Ein paar kleine Sachen sind schon herausgekommen“, erzählt Aumayr stolz. Ein Modellauto mit besonders vielen Sensoren wurde kürzlich von einem Maker Space-Mitglied auf den Markt gebracht, eine günstige Solarsteckdose für Menschen in Dritte Welt-Ländern soll bald folgen. Kein Wunder, dass die Elektronikbranche die Entwicklung der Wiener Maker Spaces schon länger mit aufmerksamem Interesse verfolgt.
Einmal kurz die Welt retten
Starthilfe für Startups hin oder her – Arno Aumayr sieht sich nicht in der Rolle des willfährigen Wegbereiters eines zügellosen Kapitalismus. Vielmehr wollen Aumayr und seine Kollegen von der Maker-Bewegung eine Alternative zum Status quo aufzeigen und den Weg zu einem Wirtschaftssystem weisen, das neben Wachstum und Gerechtigkeit auch den Wert der Nachhaltigkeit nicht aus dem Blick lässt. „Das kapitalistische System funktioniert auf Dauer auch nicht“, glaubt Aumayr. Viele der Hobby-Handwerker im Maker Space sind die generische „Made in China“-Massenware leid, die nach ein paar Jahren automatisch kaputt geht. Reparieren, recyclen, upcyceln und sich auf den regelmäßigen Maker-Faires gegenseitig inspirieren: das machen sie am liebsten.
Das Haus mit dem Roboter-Mannequin in der Auslage als Geburtsstätte eines neuen Wirtschaftssystems, das Arbeitsplätze schafft, den sozialen Zusammenhang stärkt und ökologisch nachhaltig ist? Arno Aumayr ist optimistisch. „Weltweit gab es im Jahr 2016 knapp 1400 Maker Spaces, 14 mal so viele wie noch zehn Jahre zuvor – und allein 40 Prozent davon waren in Europa“ sagt er. „Aber wir stehen erst am Anfang.“